TonZeichen
ist eine Gruppe hörgeschädigter Menschen, die gleichzeitig singt und gebärdet. Das lautsprachbegleitende Gebärden ist dabei dem Singen gleichberechtigt. Mit diesem Konzept ist die Gruppe einzigartig und stößt bei ihren Auftritten auf großes Interesse und Begeisterung auch bei nicht hörgeschädigten Menschen.
Am 28. Juli 2024 fand wieder unser Offenes Singen statt.
Im Pfarrgemeindesaal von St. Antonius in Essen-Frohnhausen ging es um Beziehungen, die Liebe, die im Mai ihren Anfang nimmt und am Ende in einer kleinen Konditorei nur noch wehmütig in Erinnerungen weiterlebt.
TonZeichen von links nach rechts: Barbara Piechocki, Christiane Terveen, Elke Kriens, Barbara Overhaus, Ludger Schäfer
Vorne links: Jupp Schneppe ; daneben unser Gast Ralf Bockstedte
Die zahlreichen Gäste, zu denen auch Ralf Bockstedte, der Vorsitzende des Inklusionsbeirates der Stadt Essen, und eine Gruppe von Taubblinden gehörte, beteiligten sich rege an dem Potpourri aus populären Schlagern, Operettenmelodien und klassischen Liedern, die unsere Gebärdensängerinnen vortrugen. Eine Besucherin, die zum ersten Mal zu unserem Offenen Singen kam, äußerte begeistert, dass sie alle Scheu verloren habe und kräftig mitsingen konnte. Bei diesem Offenen Singen war auch zum ersten Mal Barbara Piechocki dabei, die seit Februar mit uns probt, sich sehr schnell in das Gebärdensingen eingearbeitet hat und für unsere Gruppe eine wunderbare Bereicherung ist.
Besonders freute uns, dass unser Mitglied Jupp Schneppe bei uns sein konnte, der zur Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mit uns proben und auftreten kann.
Bei „Schön ist es, auf der Welt zu sein“ gesellten sich zu uns auch Greta und Jakob Sturm.
Leider kam während der Coronazeit unsere Arbeit fast ganz zum Erliegen. Veranstaltungen in Pflegeheimen oder die musikalische Mitwirkung bei Feiern und Gottesdiensten waren nicht möglich.
Jetzt freuen wir uns darauf, gemeinsam mit Ihnen zu singen und ein wenig zu gebärden.
Wenn Sie nicht zu uns kommen können, kommen wir gerne zu Ihnen, ins Pflegeheim, ins Hospiz, in Ihren Gottesdienst, wo immer Sie sind. Kosten entstehen keine, wir benötigen nur einen Raum mit Klavier. Bitte kontaktieren Sie uns bei Interesse.
Unser herzlicher Dank gilt vor allem Herrn Pfarrer Blasius und der Pfarrgemeinde St. Antonius, die uns den Pfarrgemeindesaal großzügig für unsere Proben und Offene Singen zur Verfügung stellen.
Unser Dank gilt aber auch allen Menschen, die unsere Offenen Singen regelmäßig besuchen und unsere Arbeit unterstützen.
Ludger Schäfer
2022
Vom Lied zum Gebärdenlied...
Die Besucher unserer Offenen Singen freuen sich, wenn sie nach entsprechender Anleitung bei einem kleinen Refrain mitgebärden können.
Die Schlusszeile des Liedes Der Eseltreiber heißt:
„ Zieh den bunten Eselskarren! Bring ihn in die Stadt!“
Hier ist die Umsetzung der Worte in Gebärden einfach. Die Gebärden etwa für ziehen und bringen sind klar und anschaulich, die Gebärde für Esel, die das Ohr des Tieres nachzeichnet, löst bei den Besuchern Heiterkeit aus.
Bevor jedoch ein Lied zum Gebärdenlied werden kann, ist eine Reihe von Vorüberlegungen und Vorarbeiten notwendig.
Im Gegensatz zu den klassischen Gebärdenchören, die nicht selber singen und deren Gebärden der Grammatik der Deutschen Gebärdensprache (DGS) folgt, verwendet TonZeichen Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG), die der Grammatik der gesprochenen Sprache folgen.
Da die deutsche Sprache über eine große Anzahl von trennbaren Verben verfügt, muss sich der Gebärdensänger in jedem Einzelfall entscheiden, an welcher Stelle er das vollständige Verb gebärdet.
Im Lied Weiße Rosen aus Athen heißt es in der zweiten Strophe: „…da sehn die Sterne in der Nacht ganz anders aus.“
Soll er aussehen vor Sterne gebärden oder erst auf aus am Satzende, so dass es auf den Schlag kommt und stärker betont wird?
Artikel und ein Großteil der Pronomen werden nicht mitgebärdet, sondern erschließen sich aus dem Zusammenhang.
Schwierig kann es werden, wenn bei Wortgleichheit die Gebärden sich je nach Bedeutung unterscheiden.
Im Lied Musik, Musik, Musik hat der junge Mann „die Taschen voller Noten, doch keine Noten von der Bank…“
Es war einfach, die Gebärde für Banknoten zu finden, aber eine Gebärde für Musiknoten konnten wir nicht finden. Wir mussten selber eine Gebärde entwickeln, die in etwa vom Bild her einer halben Note der Notenschrift entspricht.
Beim Bearbeiten von Weihnachtsliedern fiel auf, dass es für Josef zwei Gebärden gibt, die einmal Zimmermann und einmal Träumen entsprechen. Die Träume gehören zu dem Josef aus dem Alten Testament, der dem Pharao die Träume deutete, und Jesu Nährvater Josef aus dem Neuen Testament war Zimmermann.
Manchmal ist es notwendig, die Gebärden für bedeutungsgleiche oder -verwandte Begriffe zu verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden.
So heißt es in dem Lied Es führt drei König Gottes Hand in der letzten Strophe: „…dem Irrtum und dem Abfall wehr!“
Es gibt eine Gebärde für Abfall. Da diese Gebärde aber der Gebärde für Müll entspricht, verwenden wir in diesem Lied die Gebärde für Treulosigkeit.
Am liebsten ist es uns, wenn zwischen dem Wort und der Gebärde eine enge und nachvollziehbare Beziehung besteht. Die Gebärde von Paris zieht die Konturen des Eiffelturms nach, bei Rom schlagen die ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger beider Hände dreimal im rechten Winkel aufeinander. Es fehlt der bildliche Bezug zu Rom. Insofern überlegen wir, ob wir nicht statt der offiziellen Gebärde die Form des Kolosseums in Rom nachbilden sollten, um den Zuhörern und Zuschauern ein intensiveres Erlebnis zu vermitteln.
TonZeichen gratuliert Katharina Dohmen zum Bachelor.
Im Herbst des letzten Jahres erreichte uns die Anfrage von Katharina Dohmen, einer Studentin der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf, die sich im Studium mit Gehörlosigkeit und Gebärdensprache befasste und auf unsere Gruppe im Internet gestoßen war. Singen war immer ein wichtiges Element in ihrem Leben, und in ihrem Studium befasste sie sich mit der Entwicklung und Förderung gesangspädagogischer Angebote für Hörgeschädigte und Gehörlose, die auch das Thema ihrer Bachelor-Arbeit „Fühl mal, wie du klingst“ sind. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen, weil Katharina eine Gruppe suchte, die nicht nur gebärdete, sondern auch selber sang, und wir freuten uns, weil Katharina mit jedem einzelnen Gebärdensänger und der ganzen Gruppe intensiv Stimmbildung betrieb und uns in Fragen des Auftritts beriet. Am 27. Juni war ihre Gesangsprüfung im Partikasaal der Musikhochschule, und TonZeichen freute sich über das Konzert mit Arien von Händel, Bach, Mozart und Weber und Liedern von Bottesini, Clara Schumann, Wolf und Bernstein. Wir wünschen Katharina viel Erfolg beim Masterstudium, viel Erfolg als Sopranistin und vor allem für ihre gesangspädagogische Arbeit. Da Deutschland im Bereich Hörschädigung und Singen immer noch ein Entwicklungs-land ist, kommt ihrer Arbeit eine besondere Bedeutung zu. Insofern freuen wir uns, dass diese Arbeit mit dem Deutschlandstipendium der Ewald-Horbach-Stiftung gefördert wird, und danken ihr herzlich für ihr Engagement für TonZeichen und ihre köstlichen selbstgebrannten Mandeln.
TonZeichen - Der Gebärdensänger
Wenn man sich mit dem Thema „Musik und Hörschädigung“ befasst, findet man die Gebärdenchöre, die die Texte der Lieder, die zumeist über Tonträger eingespielt werden, in choreographierter Form gebärden. Auch im Familienkonzert beim letzten Beethovenfest in Bonn gebärdeten Gruppen aus verschiedenen europäischen Ländern ihre Lieder, während die Lieder von einem Essener Mädchenchor gesungen und dem Mahler Chamber Orchestra begleitet wurden. Als kleine Kostprobe durften die Zuschauer die Gebärden der ersten Strophe von „Der Mond ist aufgegangen“ erlernen und mit dem Gebärdenchor ausprobieren, wobei nicht vorgesehen war, dass die Zuschauer auch das Lied mitsangen, das geschah durch den Mädchenchor. Im Konzert fiel uns auf, dass vor allem viele aus dem italienischen Gebärdenchor die Worte des Liedes mit den Lippen formten, dabei aber stumm blieben, und wir fragten uns nach den Gründen. Natürlich waren die Gebärdenchöre von einer unglaublichen Präzision und einer überwältigenden Schönheit. Der Mädchenchor war perfekt, das Mahler Chamber Orchestra gehört weltweit zu den Spitzenorchestern. Hätte es gestört, wenn die Gebärdenden selber gesungen oder mit dem Chor mitgesungen hätten?
Viele Hörgeschädigte, vor allem ältere, haben mit Musik keine guten Erfahrungen gemacht. Häufig fand kein Musikunterricht statt, fiel aus oder wurde für überflüssig gehalten, und musikalische Aktivitäten beschränkten sich häufig auf Angebote mit Perkussionsinstrumenten, deren Handhabung für die musikalische Entwicklung natürlich sehr wichtig ist. Singen spielte meistens keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Eine Musikkultur, wie sie seit gut einem Vierteljahrhundert dank der von Dr. PaulWhittaker, O.B.E., ins Leben gerufenen Bewegung „Music and the Deaf“ in England praktiziert wird, hat es in Deutschland nie gegeben. Bei unseren Auftritten in England konnten wir uns von zahlreichen und vielfältigen musikalischen Angeboten für Hörgeschädigte überzeugen, und es ist selbstverständlich, dass ein Hörgeschädigter dort das Geigenspiel erlernen kann.
Aber auch in England machten wir die Erfahrung, dass Gruppen, die beim Gebärden selber sangen, aus dem Vor- oder Grundschulbereich kamen. Paul Whittaker, der von Geburt gehörlos ist und gegen viele Widerstände in Oxford ein Studium der Musikwissenschaft absolviert hat, erzählte, dass er nicht singen könne, was im Widerspruch steht zu der Begeisterung, die er auslöst, wenn er einem großen Saal singend und gebärdend ein Lied vermittelt.
Hier genau ist der Ansatzpunkt des Gebärdensängers, wie ihn TonZeichen versteht. Für den Gebärdensänger sind Singen und Gebärden eine untrennbare Einheit. Er betrachtet Singen als ein natürliches Bedürfnis und eine Fähigkeit, über die jeder Mensch verfügt. Er überträgt sein Singen in Bewegung und drückt den Inhalt seiner Lieder in Gebärden aus, die der Deutschen Gebärdensprache (DGS) entstammen und vielfach den Inhalt des Wortes oder Ausdrucks anschaulich wiedergeben. Es versteht sich dabei von selbst, dass nicht jedes Wort gebärdet wird, sondern der Gebärdensänger hier eine sinnvolle Auswahl treffen muß, die etwa vom Tempo des Liedes oder vom Satzbau innerhalb der Liedzeile bestimmt wird. Zur künstlerischen Arbeit gehört auch, harmonische Übergänge und Verbindungen zwischen den einzelnen Gebärden zu schaffen und Akzente zu setzen. Die Gebärden strömen gewissermaßen aus dem Gesang und sind von diesem nicht zu trennen. Dies zeigt sich, wenn TonZeichen neue Lieder einstudiert und beim ersten Singen spontan Gebärden entstehen, die dann später für die Gruppe festgelegt und in eine choreographierte Form gebracht werden. Und deshalb freuen wir uns, wenn bei unseren Offenen Singen unsere Zuschauer und Zuhören nicht nur mitsingen, sondern auch mitgebärden und sich so als Gebärdensänger fühlen können.
Künstlerische Leitung:
Ludger Schäfer, Dr. phil., studierte Deutsch, Englisch und Philosophie, unterrichtete Musik am Gymnasium und leitete bis zum Erreichen des Ruhestands die Ausbildung der Kinderpflegerinnen am Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg für Hörgeschädigte in Essen, wo er auch die Popgruppe „MusikAG“gründete. Seit vielen Jahren singt er in der Kantorei der Kreuzkirche in Düsseldorf und musiziert regelmäßig mit den unterschiedlichsten Gruppen in Deutschland, England und Italien. Er arbeitet eng mit „Music and the Deaf“ in England zusammen und ist Mitglied der amerikanischen „Association of Adult Musicians With Hearing Loss“.
„Es war immer mein Wunsch, auch im Ruhestand meine Erfahrung an hörgeschädigte Menschen weiterzugeben und mit ihnen gemeinsam zu musizieren. Dabei spielen Ausbildung oder Vorer-fahrung keine Rolle, entscheidend ist die Freude am Singen in der Gruppe. Ich lade alle herzlich ein, bei TonZeichen mitzuarbeiten oder an einem unserer Offenen Singen teilzunehmen.“
Adressen der Veranstaltungsorte
St. Antonius - Essen-Frohnhausen: Berliner Str. 85 45145 Essen ---------------------------------------------------- St. Elisabeth Reformationskirche - Rüttenscheid Julienstr. 39 45130 Essen ---------------------------------------------------- MARTINEUM - Essen-Steele Augenerstraße 36 45276 Essen ---------------------------------------------------- Haus der Begegnung - Essen (Innenstadt) 1. Weberstr. 28 45127 Essen |